Theoderichstrophe
Geschichte und Geschichten aus Skandinavien
Runenband

DR 212 Tillitse, Vorderseite
DR 212 - Tillitse, Vorderseite (§A).

DR 212 - Tillitse

Allgemeine Informationen:

  • Standort: Auf dem Friedhof neben der Kirche von Tillitse, Lolland
  • Datierung: §A und §B späte Wikingerzeit, nach 1050, §C später
  • Runentypen: Langzweigrunen des jüngeren Futhark, rechtsläufig
  • Gegenstand: Runenstein, rötlicher Granit

Transkription der Runeninschrift:

§A: eskil : sulka : sun : let : res(a) | sten : þena : eft : sialfan | sik * e mun * stanta * meþ * sten | lifiR * uitrint * su * iaR * uan * eskil

§B: kristr * hialbi * siol * hans | aok * santa * migaol

§C: toki * risti * runaR * e(f)(t)(i)(R) (*) -(o)ru * | stiubmoþur * sina * kunu * koþa

Deutsche Übersetzung:

§A: Eskil, Sulkes Sohn, ließ diesen Stein errichten in Gedenken an sich selbst. Allzeit mag stehen, solange der Stein lebt, diese Offenbarung, die Eskil machte.

§B: Christus helfe seiner Seele, und Sankt Michael.

§C: Toke ritzte die Runen in Gedenken an Thora, seine Stiefmutter, eine edle Frau.

Kommentar:

Auf dem Friedhof vor der Kirche von Tillitse im Westen der dänischen Insel Lolland steht ein Stein, der gleich in mehrfacher Hinsicht einzigartig ist unter den rund 200 Runensteinen Dänemarks. Als er 1627 erstmals schriftlich erwähnt wird, fristet er sein Dasein in der Friedhofsmauer südlich der Kirche, die Rückseite mit einem eindrucksvollen christlichen Stabkreuz Richtung Kirche gewandt. In einem Bericht von 1765 wird erwähnt, daß der Stein aus der Mauer entfernt und als Grundstein unter der einen Ecke der Kirchenvorhalle verwendet wurde. Die Rückseite mit dem Kreuz und der untere Teil der Inschrift liegen nun im Verborgenen. Glücklicherweise wurde der Stein nicht zurechtgehauen, um ihn seiner neuen Funktion anzupassen. Erst 1859, als eine neue Vorhalle gebaut wird, kommt er wieder ans Tageslicht und wird anschließend auf dem Friedhof direkt vor der Mauer aufgestellt. In Verbindung mit der großen Restaurierung der Kirche wird er 1931 an seinen heutigen Platz neben der Kirche versetzt.

Die Vorderseite der Inschrift berichtet, daß Eskil, Sulkes Sohn, den Stein in Gedenken an sich selbst errichten ließ. Diese Sitte, sich mit einem Runenstein selbst ein Denkmal zu setzen, war in Schweden zur Wikingerzeit durchaus verbreitet. Die wohl bekanntesten Selbsterrichtersteine Schwedens sind die Jarlabanke-Steine, die der Wikingerhäuptling Jarlabanke in der Gegend um Täby nördlich von Stockholm zu seinem eigenen Andenken aufstellen ließ. Zwei davon stehen heute noch am Ende von "Jarlabankes Bro", einer Runensteinbrücke in Täby. Der Stein von Tillitse ist der einzige Selbsterrichterstein Dänemarks.

Im Anschluß an diese Widmung folgt Eskils Wunsch, daß seine Inschrift ewig stehen möge, solange der Stein "lebt". Dieser Teil der Inschrift ist rhythmisch aufgebaut und stellt eine Strophe im altnordischen Versmaß Fornyrðislag dar, bestehend aus zwei Langzeilen mit jeweils zwei stabreimenden Kurzzeilen:

'E mun 'standa, mæþ 'sten 'lifiR
'witrind 'su æR 'wan 'Æskil.

Zu der Zeit, als Eskil sein Denkmal errichten ließ, etwa um die Mitte des 11. Jahrhunderts, war die Blütezeit der altdänischen Dichtung auf Runensteinen schon seit rund 100 Jahren vorüber. Während die dänischen Runenverse um die Jahrtausendwende nahezu verschwinden, nehmen die schwedischen an Menge zu. Die Inschriften auf dänischen Runensteinen legen den Schwerpunkt auf Todesart und Todesort des Verstorbenen, zu dessen Gedenken der Stein errichtet wurde. Der frühere poetische Stil wird durch einen neuen chronikartigen verdrängt. Dieser Wandel dürfte die veränderte politische Lage in Dänemark widerspiegeln, die nun im Zeichen der Wikingerzüge und der Eroberung Englands steht. Die Urheber der Inschriften sind eher Männer der Tat als des Wortes. Wie schon die für Dänemark einzigartige Form des Selbsterrichtersteins, deutet auch diese späte Runendichtung auf schwedischen Einfluß hin.

Ein weiterer Hinweis in diese Richtung: Die Inschrift auf dem Stein von Tillitse ist auch die einzige Runeninschrift Dänermarks, in der die o-Rune verwendet wird, die in Schweden in knapp 1000 Inschriften belegt ist.

Abgerundet wird Eskils Inschrift durch ein christliches Gebet für seine Seele auf der B-Seite des Steins. Die e-Rune im Namen des Heiligen Sankt Michael (Migael) ist hier irrtümlich als o-Rune geritzt.

DR 212 Tillitse, Rückseite und Seite B DR 212 Tillitse, Seite C
DR 212 - Tillitse, §B und Rückseite mit Stabkreuz.
DR 212 - Tillitse, §C.

Auf der C-Seite und der Oberseite des Steins wurde später noch eine zweite Inschrift hinzugefügt, in der Toke seiner Stiefmutter Thora, einer edlen Frau, gedenkt. Damit ist der Stein von Tillitse auch der einzige Runenstein aus der Wikingerzeit in Dänemark, der für eine weitere Inschrift wiederverwendet wurde. Auch dies eine Sitte, die in Schweden durchaus verbreitet war (zwei bekannte Beispiele sind der Runenstein von Sparlösa, bei dem rund 250 Jahre zwischen den beiden Inschriften liegen, sowie der Stein von Skåäng, dessen zwei Inschriften über 500 Jahre auseinander liegen und Runen des älteren und des jüngeren Futhark verwenden). In Dänemark wurden erst im Mittelalter - im 12./13. Jahrhundert - Grabsteine öfter als einmal für Runeninschriften verwendet. Ob die beiden Inschriften auf dem Stein von Tillitse etwas miteinander zu tun haben, weiß man nicht. Es wird allerdings vermutet, daß Toke Eskils Sohn gewesen sein könnte.

Der Runenstein von Tillitse trägt also insgesamt eindeutig schwedische Züge. So nimmt man heute an, daß die in den beiden Inschriften erwähnten Personen - Sulke, Eskil, Toke und Thora - Angehörige einer schwedischen Kolonie auf der Insel Lolland gewesen sind, möglicherweise Nachkommen von Schweden, die sich auf dem Weg zum dänischen Handelszentrum Hedeby (dt. Haithabu, im heutigen Schleswig-Holstein) auf Lolland niedergelassen haben. Die Existenz einer solchen schwedischen Kolonie auf Lolland ist auch durch die Inschriften auf den Steinen von Tirsted und Sædinge bezeugt.

Last not least ist der Runenstein von Tillitse das älteste erhaltene schriftliche Dokument christlichen Glaubens auf den Inseln Lolland und Falster.

Quellen und weiterführende Literatur

  • HÜBLER, Frank (1996): Schwedische Runendichtung der Wikingerzeit. Runrön 10. Institutionen för nordiska språk, Uppsala universitetet.

  • MOLTKE, Erik (1985): Runes and their origin - Denmark and elsewhere. Nationalmuseets Forlag, Kopenhagen.

  • NIELSEN, Niels Åge (1983): Danske Runeindskrifter. Hernovs Forlag, Kopenhagen.

  • VILLADSEN, Anne Brigitte (1989): Runeindskrifterne efter Runesten på Lolland-Falster. Lolland-Falsters Historiske Samfunds Årbog.

  • WILLIAMS, Henrik (1990): Åsrunan - Användning och ljudvärde i runsvenska steninskrifter. Runrön 3. Institutionen för nordiska språk, Uppsala universitetet.


©2008/2009 Joachim Henkel