Steindolmen
Geschichte und Geschichten aus Skandinavien
Sømarkedysse, Møn / DK

Hexen, Gletscher oder Dinos?

Von Joachim Henkel


Als Monolithen bezeichnet man besonders große einzelne Steine, die irgendwo in der Landschaft rumliegen, dort wo sonst eigentlich keine großen Steine zu finden sind. Einer der größten und bekanntesten Monolithen der Erde ist der Ayers Rock im Herzen Australiens.

Zur Zeit der Jäger und Sammler haben die Menschen angefangen auch Monolithen zu sammeln, so wie wir heute Briefmarken sammeln. Wer etwas auf sich hielt, stellte seine Monolithensammlung zu aesthetisch anspruchsvollen Arrangements zusammen, um sie der Jäger-und-Sammler-Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Einige besonders schöne Monolithenausstellungen haben die Zeitalter überdauert und sind auch heute noch zu bewundern, zum Beispiel der Steinkreis von Stonehenge in England, die Menhíre von Carnac in Frankreich, die Schiffsetzungen in Schweden oder die Skyline von Manhattan.

Schiffsetzung Ales Stenar bei Kåseberga, Skåne Schiffsetzung Blomsholmskeppet, Bohuslän
Schiffsetzung Ales Stenar bei Kåseberga, Skåne Schiffsetzung Blomsholmskeppet, Bohuslän

Die felsigen Landschaften Schwedens und Norwegens sind überhaupt besonders reich an natürlich vorkommenden Monolithen. Die zahlreichen großen Granitblöcke prägen dort das Landschaftsbild auf eindrucksvolle Weise. In Dänemark hingegen sind die großen Steine selten genug, daß ihr gelegentliches Vorkommen die Bevölkerung immer wieder zu intensivem Nachdenken über deren Herkunft angeregt hat. Auffällig ist dabei, daß die Dänen nahezu überall die gleiche Erklärung gefunden haben: Hexen haben die Steine einst dorthin geschleudert, wo sie heute noch liegen.

Der Damme-Stein bei Hesselager, nahe der Ostküste der Insel Fyn gelegen, ist mit zwölfeinhalb Metern Höhe, einem Umfang von rund fünfzig Metern und einem Gewicht von etwa tausend Tonnen Dänemarks größter Monolith. Eine Hexe auf der Nachbarinsel Langeland fühlte sich eines Tages durch das Läuten der Glocken im Kirchturm von Hesselager gestört, suchte sich einen Stein am Strand und schleuderte ihn, mit Hilfe ihres Büstenhalters in Richtung Kirchturm. Der Stein prallte vom Kirchturm ab und kam wenige Kilometer weiter zu liegen. Bisher hat ihn niemand mitgenommen und so liegt er heute noch dort.

Der Dammestein bei Hesselager/Fyn
Der Damme-Stein bei Hesselager auf der Insel Fyn

Die nahezu gleiche Geschichte erzählt man sich über die Herkunft des Svantese-Steins im Klintewald auf der Insel Møn. Die beiden einzigen Variationen: Die Hexe lebte auf der Insel Rügen und einer der beiden Kirchtürme von Magleby wurde durch den ruchlosen Angriff zerstört.

Natürlich hat diese frühe folkloristische Deutung, trotz ihrer Einfachheit und romantischen Schönheit, aus wissenschaftlicher Sicht einen gravierenden Mangel: Sie erklärt nicht, woher die Hexen die Steine hatten. Der eigentliche Ursprung der Monolithen blieb also weiterhin im Dunkeln.

Die heutige Wissenschaft ist bei ihren Erklärungsversuchen schon ein großes Stück weitergekommen: Nicht die Hexen haben die Steine bewegt, sondern die Gletscher der Eiszeit. Sie haben die Granitbrocken aus Norwegen und Schweden Richtung Süden geschoben. Als die Eiszeit vorbei war und die Gletscher schmolzen, blieben die Steine dort liegen, wo sie heute noch sind. Auch die überwiegend runden Formen und die glattpolierten Oberflächen der großen Monolithen lassen sich durch diese Theorie erklären: Sie sollen durch das jahrtausendelange gewaltsame Schieben entstanden sein. Die Steine wurden sozusagen von der Gletscherzunge rund und glatt gelutscht.

Der Svantesesten im Klintewald, Møn
Der Svantese-Stein im Klintewald auf der Insel Møn

Wenn Sie jetzt sagen, auch diese Theorie erklärt nur, wie die Monolithen an ihren heutigen Platz gekommen sind, aber ebenfalls nicht, wie und wo sie entstanden sind, so kann ich Ihnen nur gratulieren. Sie sind zum kritischen Wissenschaftler geboren. Sie sind reif für meine Theorie! Die erklärt alles. Sie ist in jahrelanger, mühevoller Forschungsarbeit durch Beobachtung, das Sammeln und Zusammenfügen von Fakten und die daraus resultierenden Schlußfolgerungen entstanden und gewachsen und wird eines Tages unser heutiges Weltbild fundamental revolutionieren.

Die dänischen Monolithen sind nichts anderes als Koprolithen. Versteinerter Dinosauriermist. In der Zeit, als in Dänemark noch Dinosaurier lebten, war Dänemark eine Sandwüste. Ideale Bedingungen für die Erhaltung und Versteinerung von Fossilien. Manche Dinosaurierknödel wurden von Sandstürmen zugeweht und konnten in aller Ruhe versteinern. Irgendwann wurden sie durch weitere Sandstürme wieder freigelegt und, wie mit einem Sandstrahlgebläse, glatt- und rundpoliert.

Natürlich kann man einwenden, daß sich die Mono-/Koprolithen an der heutigen Erdoberfläche befinden und nicht in den entsprechenden geologischen Schichten aus der Zeit der Dinosaurier. Das liegt daran, daß die großen Steine natürlich nicht erst heute gefunden wurden, sondern schon in der Steinzeit (daher der Name!). Schon die steinzeitlichen Ackerbauern erkannten die wachstumsfördernde Wirkung von Tierdung. Sie gruben die Dinosaurierknödel aus und schleppten sie auf ihre Äcker, um diese zu düngen. Allerdings ist versteinerter Dung bei weitem nicht so wirkungsvoll wie frischer Mist, da die Koprolithen ihre Nährstoffe äußerst langsam an den Boden abgeben. Auch das erkannten die Steinzeitbauern sehr schnell und so stellten sie schon bald ihre Grabungen nach den großen Koprolithen sowie deren Nutzung ein. Genau deshalb gibt es in Dänemark heute nur relativ wenige große Monolithen. Ein Großteil der versteinerten Saurierknödel liegt nämlich immer noch im Boden, in den geologischen Schichten aus der Ära der Dinosaurier.

Meine Theorie ist relativ einfach zu beweisen. Man muß nur in den entsprechenden geologischen Schichten Dänemarks nach den Monolithen graben. Leider haben es geniale Wissenschaftler schon immer extrem schwer gehabt, bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse und Paradigmenwechsel gegen den massiven Widerstand der Mainstream-Wissenschaft durchzusetzen. Die alten verstaubten Professoren verteidigen ihre wissenschaftlichen Pfründe bis zum letzten Blutstropfen. Da ist es kein Wunder, daß mir die forschungsfördernden Institutionen für mein epochales Forschungsvorhaben die finanzielle Unterstützung verweigern. Überall sitzen die alten Mainstream-Langweiler in den Gutachter-Kommissionen, halten den Daumen auf die Forschungsgelder und achten wie die Luchse darauf, daß kein neuer Genius an ihrem wissenschaftlichen Lebenswerk herumsägt.

Aber ich werde nicht aufgeben. Der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt ist auf die Dauer nicht aufzuhalten. Die Theorie der Kontinentalverschiebung hat gezeigt, daß es Jahrzehnte dauern mag, bis so ein Umdenkungsprozeß abgeschlossen ist. Aber er kommt. Wenn man mir die benötigten Helfer und die Ausrüstung nicht finanzieren will, dann muß ich eben auf eigene Ressourcen zurückgreifen. Ich werde allein, mit Hammer, Meißel und Spaten in Dänemark auf die Suche nach all den vielen, noch verborgenen Monolithen gehen, um der Wahrheit zu ihrem Durchbruch zu verhelfen!

Ich muß jetzt Schluß machen. Zeit für meine Pillen, sagt die Schwester.

Sie werden noch von mir hören.


©1999/2007 Joachim Henkel